Verantwortung
von Hans Langlotz
Nachrichten vom 16. bis 18. September 1982 berichteten von 800 oder wesentlich mehr Toten in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila - ermordet durch Mitglieder der libanesischen Kataeb-Miliz (Phalangisten) mit Einwilligung des damaligen israelischen Verteidigungsministers Ariel Scharon, der international als der "indirekt" Verantwortliche für diese Morde "angesehen" wurde [1] und daher auch von seinem Amt zurücktreten musste. "Indirekt" verantwortlich also: Ariel Scharon, derzeit (noch) Ministerpräsident Israels.
- Zur Frage der Verantwortung zwei "Klassiker": Wolfgang Borchert (1921 - 1947) und Georg Büchner (1813 - 1837):

"Die Toten - antworten nicht. Aber die Lebenden, die fragen: Frauen, Herr Oberst, trauernde Frauen, alte Frauen mit grauem Haar und harten rissigen Händen - junge Frauen mit einsamen sehnsüchtigen Augen, Kinder, Herr Oberst, Kinder... - tausend? Herr Oberst, Zweitausend?"
(Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür, 1945)

Hauptmann: "Kerl, will Er erschossen werden? Er sticht mich mit seinen Augen, und ich mein´s gut mit ihm, weil Er ein guter Mensch ist, Woyzeck!"
(Georg Büchner, Woyzeck, 1835/36)

    Woyzeck, der "Held" in Büchners berühmtestem Werk, hat seine Geliebte Marie erstochen: ein schändlicher Mord. Aber die wahren Mörder heißen: Tambourmajor, Arzt und Hauptmann. Wohl niemand vor und nach ihm hat die Frage der Verantwortung so hellsichtig, so erschütternd, knapp und klar dargestellt wie der damals 23-jährige geniale Georg Büchner.
    Mehr als 40 Jahre hat es damals gedauert, bis das Werk 1878 aus dem Nachlass veröffentlicht wurde, und noch einmal 25 Jahre, bis es in München 1913 uraufgeführt wurde.
    Die Menschheit war selten schnell im Erfassen der Bedeutung großer wie katastrophaler Ereignisse! Soll es nun 25 oder 40 Jahre dauern, bis Ariel Scharon - bereits 1982 als Verantwortlicher für das Massaker benannt - auch zur Verantwortung gezogen wird?
    Vom September 2000 bis zum 7. Mai 2002 wurden im Krieg Israels gegen die Palästinenser nachweislich 441 Israelis und 1.539 Palästinensern getötet [1]. Seither sind es von Tag zu Tag mehr geworden.
    Mehr als 900.000 Menschen aus aller Welt unterschrieben bis Anfang September 2002 eine Petition an die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, mit der Forderung, ein Internationales Komitee zur Untersuchung der Verbrechen Ariel Scharons gegen die Menschlichkeit einzusetzen [2].
    Seit dem 1. Juli 2002 ist der Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag rechtswirksam. Der Gerichtshof soll dann im kommenden Jahr in Den Haag seine Arbeit aufnehmen. Die Regierungen der USA und Israels wollen sich dem Spruch dieses Gerichts nicht unterwerfen. Wie lange wird es dauern, bis Ariel Scharon trotzdem vor diesem Gerichtshof zu erscheinen hat?
    Es könnte ein Signal an alle Welt werden, dass sich "Sabra und Schatila nie mehr wiederholen" dürfen, und Verantwortliche für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit nie mehr der Verurteilung entgehen werden - ausnahmslos, ohne Immunitätsinseln! . Einen "Sinn" würde das Massaker von 1982 hierdurch nicht bekommen, aber wirksam könnten die Toten von damals werden - für uns alle. Zu der Trauer um die Toten würde sich Hoffnung gesellen können.


[1] Belegt durch international anerkannte Dokumente, hier nach Rotter/Fathi, NAHOST-LEXIKON, sowie Ludwig Watzal, Feinde des Friedens; bezeugt u. a. durch Dokumentarfilme, mehrfach im TV publiziert.

[2] Report of Secretary-General on Recent Events in Jenin, Other Palestinian Cities [www.un.org/News/Press/docs/2002/SG2077.doc.htm]

[3] A Petition for International Investigation Committee on Ariel Scharon's crimes against humanity, to Mrs. Mary Robinson, UN High Commissioner for Human Rights [www.PetitionOnline.com/warcrime/]


Hans Langlotz, Buchhändler, Jahrgang 1936, lebt in Luhmühlen



Freunde Palästinas